Dieser Artikel stammt aus P&S (Ausgabe 2022_3) – dem Magazin für Psychotherapie und Seelsorge. Viermal im Jahr widmet sich P&S einem neuen Themenschwerpunkt.
Vielleicht sind wir wirklich DIE LETZE GENERATION
Hanna Schott im Gespräch mit Katharina Pfeiffer
Du bist Aktivistin bei XR, Extinction Rebellion. „Hope dies, action begins“, ist das Motto dieser Bewegung. Da wird eine große Portion Zukunftsangst transportiert, oder etwa nicht?
Das Motto ist vielleicht etwas irreführend, aber XR ist eine junge Bewegung, gerade drei Jahre alt, und wir arbeiten an allem, sicher auch bald mal an diesem Spruch, den wir von Großbritannien übernommen haben. „Hope dies“ meint nach meiner Interpretation nicht: Wir haben keine Hoffnung, sondern: Wir hoffen nicht länger, dass andere, also Politiker:innen, für uns den Karren aus dem Dreck ziehen. Sie machen es nämlich nicht. Wir müssen selbst aktiv werden, und zwar durch krasse Aktionen, denn „Sanfteres“ wird nicht wahrgenommen. Helfen tut nur, was so viel Aufsehen erregt, dass die Medien darauf anspringen. Denn das ist das Wichtige: Die Themen Klimakrise, Ökokrise und
Biodiversitätskrise im öffentlichen Diskurs fest zu verankern. Wir dürften eigentlich über nichts anderes mehr reden als darüber, wie wir dieser Katastrophe konstruktiv begegnen. Die Medien haben einen großen Anteil an diesem Diskurs. Sie setzen die Themen und bilden Meinung. Deshalb brauchen wir sie. Wir sehen die Medien hier auch klar in der Verantwortung. Eine unserer Forderungen lautet: Sagt die Wahrheit. Und diese richtet sich nicht nur an die Politik und andere Entscheider:innen, sondern vor allem auch an die Medien.
Wie sieht dein eigenes Engagement bei XR aus?
Bis vor einem Jahr war ich super tief drin. Ich habe beruflich zu Agrarthemen getextet und bin dann über einen persönlichen Kontakt zu XR gekommen. Ich habe erlebt: Die veranstalten nicht nur Demos, sondern bewirken mit ihren Aktionen wirklich etwas. Creative Rebellion ist das Stichwort: Wir wollen Aufmerksamkeit erregen, Leute aus ihren Gewohnheiten herausreißen, ihnen aber auch den Wert des Lebens vor Augen führen. Ihnen zeigen, wofür wir kämpfen: für den Erhalt dessen, was das Leben lebenswert macht. Zum Krassen muss das Kreative dazukommen, das Lebensfrohe, das Freude transportiert.
Bis vor einem Jahr …?
Ja, runde zwei Jahre war ich sehr aktiv. Wir hatten ständig Aktionen und Treffen, zwei bis dreimal die Woche. Es gibt so viel zu tun in so einer Gruppe, angefangen vom Mitglieder-Anwerben über das Planen und Durchführen von Aktionen, Verfassen von Pressemitteilungen, Orga, Zusammenhalten der Gruppe usw. usf. Das ist ein richtiger Job. Dann wurde ich krank und schaffte es einfach nicht mehr. Meine Erschöpfungsdepression hatte viele Gründe, aber das Thema Klimakrise spielte sicher auch eine Rolle. Ich erinnere mich, wie ich 2018 einmal morgens auf dem Weg zur Arbeit in der Schwebebahn saß und dachte: Dieses Jahr überleben wir nicht. Nicht als Erde, nicht als Menschheit …
Ich habe inzwischen aufgehört, mich ständig auf den neuesten Stand zu bringen, und mein Engagement stark zurückgefahren. Bei der Fridays-for-Future-Demo am 25. März 22 war ich das erste Mal wieder dabei, aber ich weiß jetzt, dass ich mich schützen muss.
Vor kurzem habe ich zum ersten Mal das Wort „Öko-Kummer“ gehört, als deutsches Pendant zum englischen Begriff solastalgia. Kennst du das, also sowohl das Wort als auch die innere Verfassung: traurig zu sein wegen des Zustands der Welt?
Ich finde das Wort nicht gut. „Kummer“ ist ein Euphemismus, nicht radikal genug. Es geht ja hier nicht um Kleinigkeiten und Heile-heile-Gänschen. Das Gefühl an sich kenne ich natürlich. Ich liebe die Natur, ich bin, wann immer ich kann, draußen. Und dann sehe ich den Schwund der Vielfalt. Ich sehe getötete Wälder, kann nicht spazieren gehen oder wandern, ohne darüber nachzudenken, wie schrecklich die kahlen Berge aussehen. Dystopische Zahnstocher-Landschaften gucken mich an. Und man ist schon heilfroh, wenn man mal eine Biene sieht.
Das alles zu beobachten, macht mich sehr traurig und jagt mir eine Heidenangst ein. Ich habe deshalb auch zu Beginn meines Engagements bei XR gedacht, wir müssten allen Leuten diese Angst machen. Sonst bewegt sich nichts. Ich selbst habe eine existenzielle Angst, vor allem um meine Kinder – die sollen die anderen auch spüren! Wir haben monatelang Diskussionen geführt, in welchem Maße wir den Leuten Angst machen müssen. Inzwischen denke ich, den Menschen Angst zu machen, ist nicht der richtige Weg. Angst kann wahnsinnig lähmend sein. Das habe ich auch erfahren. Sie kann ein Gefühl von Machtlosigkeit hervorrufen, das einen handlungsunfähig macht. Inzwischen denke ich, es ist sinnvoller, den Menschen vor Augen zu führen, was wir im Begriff sind zu verlieren und was wir gewinnen können, wenn wir unser Verhalten und Handeln ändern. Erst einmal klingt das immer alles nach Verzicht. Aber das, was wir durch diesen Verzicht gewinnen können, ist so unendlich wertvoll und wunderschön. Es ist das, was das Leben lebenswert macht.
Erwachsenen Menschen Angst zu machen, ist das eine. Aber was ist, wenn du mit deinen Kindern unterwegs bist: Weist du sie auf alles hin, was dir Angst macht?
Ja, wir reden darüber. Meine Kinder sind 16 und 11, da verstehen sie die ökologischen Zusammenhänge einigermaßen. Vor drei Jahren sind sie noch zu Klimademos mitgekommen, dann hatten sie keine Lust mehr drauf. Ich war mit XR quasi jede Woche zu einer Aktion unterwegs, ständig gab es Treffen und Videokonferenzen, die unser Familienleben enorm beeinflusst haben. Vielleicht hatten sie deshalb auch irgendwann genug. Und es ist ja leider immer noch so: Wer sich in der Schule fürs Klima interessiert, steht am Rande. Dort herrscht Eskapismus pur mithilfe von TikTok etc. Aber natürlich werden sie eines Tages darauf kommen, was wichtig ist. Ich versuche ihnen die Dinge auf einem zumutbaren Niveau darzulegen – und ihnen auf der anderen Seite glückliche Tage zu bescheren. Und doch: Ich bin mir sicher, dass meine Kinder in 20 Jahren in einer anderen, viel schlechteren Welt leben werden. Deshalb will ich auch gar nicht, dass sie all das wissen, was wir wissen. Ich habe Angst, dass es sie zerstören würde. Und ihre Lebensfreude.
Wenn ich schaue, wie das Thema im Kinderbuch transportiert wird, sehe ich, dass es von Weltrettern, Klimahelden etc. nur so wimmelt, jedenfalls auf den Buchtiteln. Ich selbst reise ja auch mit meinen „Klimahelden“ durch die Schulen, aber ich frage mich zunehmend: Legen wir da nicht eine zu große Last auf die Schultern der Kinder, im Sinne von: Unsere Generation hat es verbockt, aber wenn ihr schön tapfer seid, dann werdet ihr die Dinge schon wieder ins Lot bringen?
Ja, das ist in gewisser Weise unverschämt. Es individualisiert das Problem. Es legt die Last auf die Schultern von Menschen, die nichts für die aktuelle Situation können und die sie vor allem auch nicht lösen können. Was soll ein Kind, das in der Schule lernt, dass man beim Verlassen des Raums das Licht ausschaltet und dass wir weniger Plastikmüll produzieren müssen, gegen die Klimakrise ausrichten? Bei XR blamen wir daher keine Einzelpersonen für ihr Verhalten, wir wenden uns an die Politiker:innen, die Entscheider:innen. Das Verhalten Einzelner ist nur eine kleine Stellschraube in dem ganzen System. Wir brauchen groß angelegten strukturellen Wandel. Und den können wir nicht in unseren Wohnzimmern lostreten. Dafür braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen und politischen Willen.
Neben XR gibt es neuerdings auch „Letzte Generation“, eine Bewegung, die mit noch krasseren Aktionen Aufmerksamkeit erregt. Ich finde schon den Namen der Gruppe angsteinflößend.
Gemeint ist aber doch: Wir sind die letzte Generation, die noch etwas tun kann, die manche Kipppunkte eventuell noch positiv beeinflussen kann. Aber die Doppeldeutigkeit könnte tatsächlich gewollt sein, man soll ruhig mal für einen Moment denken: Was, wenn wir die letzte Generation sind? Ich würde da durchaus mitmachen, wenn ich dafür Zeit und Kraft hätte. Dass ich Kinder habe, ist einerseits der Grund dafür, dass ich manches mache, andererseits hindert es mich. Ich bin außerdem schon mehrfach Zeugin von Polizeigewalt geworden, durch die friedliche Aktivist:innen verletzt wurden, und will nicht im Gefängnis landen oder wegen Sachbeschädigung zu einer hohen Geldstrafe verurteilt werden und damit meine Familie belasten. Klimaaktivist:innen werden ja strenger behandelt als z. B. Totschläger. Am Anfang haben wir uns immer bei den Polizist:innen bedankt, ein gutes Verhältnis gepflegt. Uns wurde viel Verständnis entgegengebracht. Es war klar: Die sind von XR, die machen keinen Ärger, die rebellieren friedlich. Das hat XR auch anschlussfähig für Familien und ältere Menschen gemacht. Aber das hat sich gewandelt, bei uns in Wuppertal, aber auch in Berlin und anderen Städten. Friedlich zu sein, schützt nicht vor Gewalt durch Polizei. Das hat ja auch Kalkül. Man will die Menschen vom Aktivismus abschrecken. Und ich muss leider sagen, dass das funktioniert. Bei Aktionen haben wir verschiedene Level. Von denen, die sagen, sie bleiben bis zum Schluss, kleben oder ketten sich irgendwo an, bis hin zu denen, die für die Versorgung und den Erhalt der guten Stimmung zuständig sind. Alle Level sind unverzichtbar bei einer Aktion. Aber für die hohen Level, bei denen es Richtung strafbare Handlungen geht oder wo es darum geht, irgendwo sitzen zu bleiben, bis man weggetragen wird, finden sich immer weniger Menschen bereit – was ich gut verstehen kann.
Was gibt dir Hoffnung?
Almut, eine Freundin. Mit ihrem Glauben, den ich nicht teile. Irgendwie überträgt sich die Hoffnung, die sie hat, manchmal ein bisschen. Ich selbst habe eigentlich kaum noch Hoffnung. Ich kann nicht mehr tun, als jeden Tag gut zu gestalten, das Beste draus zu machen. Manchmal bin ich neidisch auf Menschen, die einen festen Glauben haben und die z. B. davon ausgehen, dass es ein höheres Wesen gibt, das irgendwann vielleicht eingreifen wird oder durch das einem der Sinn dieses ganzen Schlamassels irgendwann deutlich wird. Und trotzdem kann ich mich bei Almut manchmal ein bisschen einklinken. Zu wissen, dass sie glaubt und dass so ein Glaube überhaupt möglich ist, ist irgendwie tröstlich. Ich kann ja auch nicht beweisen, dass sie unrecht hat.
Und meine Kinder. Die geben mir auch Hoffnung. Sie sind so lebensfroh. Letztens hatte meine Jüngste Geburtstag. Sie sprang durch die Wohnung und sang: „Wie schön, dass ich Geburtstag hab!“ Und: „Happy Birthday to me!“ Solche Dinge. Das relativiert die negativen Gedanken, und ich denke: Allein für diesen Tag hat sich mein ganzes Leben schon gelohnt. Und ihres auch.
Katharina Pfeiffer ist Buchhändlerin und studiert zurzeit Soziale Arbeit. Sie lebt in Wuppertal.
Hanna Schott war viele Jahre leitende Redakteurin von P&S. Sie lebt als freie Autorin in Bonn. www.hannaschott.de
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