Dieser Artikel stammt aus P&S (Ausgabe 2025_1) – dem Magazin für Psychotherapie und Seelsorge. Viermal im Jahr widmet sich P&S einem neuen Themenschwerpunkt.
Psychotherapie trifft Seelsorge
Menschen aus zwei Berufsfeldern miteinander ins Gespräch zu bringen, die sich bis dahin noch erstaunlich wenig zu sagen hatten, das war von Anfang an das Ziel der Zeitschrift P&S, deren erste Ausgabe 2005 erschienen ist. Martin Grabe erinnert sich an die ersten Kongresse für Psychotherapie und Seelsorge, an eine besonders wasserreiche Tagung am Thuner See und an Klinikseelsorger, die eher geduldet als gewollt waren.
Drei Kongresse für Psychotherapie und Seelsorge in der Schweiz hatten schon stattgefunden, als die Akademie für Psychotherapie und Seelsorge im Jahr 2000 gegründet wurde. Der letzte der drei Kongresse fand in Gwatt, am Thuner See statt und er wurde berühmt dadurch, dass er buchstäblich im Wasser unterging. Der See trat immer stärker über seine Ufer. Anfänglich wehrten sich die Betreiber des Tagungsheims mit schnell errichteten Gangways, die über die überfluteten Außenbereiche führten. Ich habe noch den Paartherapeuten Jürg Willi vor Augen. Dieser, auch Referent auf dem Kongress, hatte sich von irgendwoher hohe Stiefel besorgt und war dadurch relativ autonom unterwegs.
Am Rande dieses Kongresses, noch im Trockenen und bei Sonnenschein, sprach Samuel Pfeifer, der bisherige Begründer und Leiter dieser Kongresse, nun verschiedene Kollegen an.
Es waren Rolf Senst, der damals neue Chefarzt der de’ignis-Klinik in Altensteig und die drei – ebenfalls neuen – Chefärzte der Klinik Hohe Mark: Arnd Barocka, Dietmar Seehuber und Martin Grabe. Die Frage war, ob wir nicht bereit wären, ein Mal diesen Kongress – den nächsten – in Deutschland zu organisieren. Danach könnte es dann wieder in die Schweiz zurückwechseln.
Die Angesprochenen stimmten zu. Einmal die Länder zu wechseln sei ja nichts als fair und böte auch die Möglichkeit, stärker Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland anzusprechen.
Wir merkten schnell, dass wir auch Theologinnen und Theologen im Vorbereitungskreis brauchten, um dem nächsten Kongress einen sicheren Stand zu verschaffen, auch weitere Psychotherapeutinnen und -therapeuten luden wir ein. Dass in der APS mehr Frauen in die Leitung sollen, war auch damals schon Thema, obwohl es fast nur männliche Chefärzte gab.
Weil in Deutschland der Umgang mit Räumen und Geld kaum möglich ist ohne institutionellen Rahmen, gründeten wir unsere APS als Verein. Ich habe heute noch die Bücher im Schrank
stehen, die ich damals brauchte, um eine sinnvolle Satzung zu erstellen. Heute findet man so etwas natürlich ganz schnell im Internet.
Erster Kongress in Deutschland: „Psychotherapie in der Krise?“
2003 war es dann so weit: Unser erster Kongress in APS-Regie fand in Marburg statt. Thema: „Psychotherapie in der Krise? – Die neue Lust auf Sinn und Werte“. Immerhin 650 Teilnehmende und 70 Seminare. Aufnahmeprüfung bestanden.
Nach dem Kongress kam dann auch schnell das Signal aus der Schweiz, dass die Kongresse ruhig in Deutschland bleiben könnten, in der Schweiz fehlten derzeit – äh – die Ressourcen.
So nahm dann die APS-Arbeit Fahrt auf – und es ist seither viel passiert.
Schon auf diesem Kongress in Marburg sprach mich – jetzt sind wir bei unserer Zeitschrift – Frank Fornacon an. Frank war damals der Geschäftsführer des Oncken-Verlages und ein kreativer Kopf, der viele Dinge anstieß und in Gang brachte und ich schon damals der 1. Vorsitzende der APS. Es seien doch jetzt in der neuen APS derartig viele kompetente Leute beisammen, da sei es doch schade, wenn man immer bis zum nächsten Kongress oder zur nächsten Jahrestagung warten müsse, um weiteren Input zu bekommen. In der Zeit dazwischen könne eine Zeitschrift als Forum dienen. Ich stimmte prinzipiell zu, merkte aber, dass ich wenig Lust auf eine Erweiterung der APS-Aufgaben hatte. Der Kongress hatte uns schon einiges an Anstrengung gekostet.
Der Herausgeberkreis formiert sich
Frank blieb aber dran. Immer wieder fütterte er mich mit Ideen. Ein entscheidender Gedanke war, die Zeitschrift durch einen eigenen Herausgeberkreis verantworten zu lassen, so dass sie
nicht auf der Vorstandsagenda aufzutauchen brauchte. So kam es 2004 zum Start von „Psychotherapie und Seelsorge“ (punds.org). Arnd Barocka wurde Sprecher des Herausgeberkreises, Hanna Schott, von Frank Fornacon mitgebracht, unsere Redakteurin. Außerdem mit dabei: Rolf Sons, Rolf Senst, Manfred Seitz (den Arnd Barocka als Erlanger Universitätsbekanntschaft überzeugen konnte) und ich.
Anfangs nur aus Pflichtbewusstsein dabei, weil auf diese Weise der Kontakt der Zeitschrift zum Vorstand gewahrt bleiben sollte, begann ich die Arbeit bald zu lieben.
Unsere Treffen entwickelten sich zu anregenden intellektuellen Gesprächen über immer wieder neue Themen aus dem riesigen Feld der Psychiatrie, Psychotherapie, Theologie und Seelsorge. Ein bisschen habe ich es im Heft 3/22 beschrieben („Hannas Salon“, S. 42).
Aufgabe im Herausgeberkreis war es, immer wieder neu nach interessanten Heftthemen Ausschau zu halten. Sie sollten durch einen kurzen Oberbegriff charakterisiert werden. Das spiegelt sich auch in den kurzen Titeln unserer Ausgaben wieder. Innerhalb dieser Oberkategorie breitete sich im gemeinsamen Brainstorming aber jedes Mal ein Kaleidoskop an Unterthemen aus. Jeder stellte seine Idee den anderen vor, die sie wiederum ergänzten.
Wir machen es immer noch genau so, insofern kann ich auch ins Präsens wechseln. Seit langem treffen wir uns in einem Konferenzzentrum gegenüber dem Frankfurter Bahnhof, wo wir nebenbei auch kulinarisch verwöhnt werden.
Ganz fromm und ganz weltoffen
Allerdings hat äußerlich eine ganze Menge Wandlung bei uns stattgefunden. Schon nach vier Jahren mussten wir aus organisatorischen Gründen den Verlag wechseln. Nach gründlichem Gespräch haben wir uns – gegenseitig – für eine Zusammenarbeit mit dem Bundes-Verlag in Witten entschieden, jetzt SCM Bundes-Verlag. Unsere Bedingung war: Wir möchten nur dann
mit einem Verlag zusammenarbeiten, wenn wir dort dem Motto folgen dürfen: „ganz fromm und ganz weltoffen“. Es muss alles gedacht und gesagt werden dürfen bei P&S. Inzwischen sind
wir sehr dankbar für diese vielen Jahre guter Zusammenarbeit.
Auch Personen wechselten. Nach und nach schied der alte Herausgeberkreis aus. Zuerst Rolf Sons, dann Rolf Senst, Manfred Seitz (Begründung: „Jetzt bin ich 85, da möchte ich Aufgaben abgeben“), Arnd Barocka und schließlich Hanna Schott. Dafür kamen erfreuliche neue Mitglieder hinzu: Christian Eyselein, Alexandra Diercks, Henning Freund, Gabriele Stotz-Ingenlath, Christof Klenk als neuer Redaktionsleiter und vor kurzem Anne-Katharina Neddens.
Nur ich bin immer noch dabei – und gleichzeitig noch weit entfernt von der oben genannten Seitz’schen Austrittsbegründung.
Psychotherapie als Weg des Unglaubens
Am Anfang der Zeitschriftenarbeit fanden wir die gleiche Situation vor wie die gesamte APS. Zu Anfang des neuen Jahrtausends standen sich Psychotherapie und Seelsorge oft sehr fremd, manchmal feindselig gegenüber. In der klinischen Psychiatrie und Psychotherapie bestanden erhebliche Vorurteile religiösem Gedankengut gegenüber. Klinikseelsorgende wurden auf den meisten Psychiatriestationen ignoriert, manchmal auch gemobbt. Sicherlich noch Nachwirkungen der 68er, vielleicht auch von religionskritischen Gedanken Sigmund Freuds.
Ebenso hatte in ambulanten Psychotherapien der Glaube der Patientinnen und Patienten keinen Platz. Therapeuten reagierten in der Regel so befremdet darauf, dass dieses Thema von den Patienten in Zukunft wohlweislich umschifft wurde. Das trug nicht unbedingt zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung der Betroffenen bei, war aber politisch korrekt.
Gleichzeitig erschienen auf dem evangelikalen Büchermarkt noch mehrere Bücher, die Seelsorge und Psychotherapie gegeneinander ausspielten. Psychotherapie wurde dort als Weg des Unglaubens gebrandmarkt. Ein Christ solle und dürfe alle Heilung von Gott erwarten, hieß es. Wenn es nicht so funktioniere mit der Heilung, habe das im Kern praktisch immer mit Sünde und Unglauben zu tun, der in tiefergehender Seelsorge aufgespürt und bekämpft werden müsse.
Ist die Aufgabe erfüllt?
In diesem Umfeld trat die APS mit dem Ziel an, Menschen in Psychotherapie und Seelsorge miteinander ins Gespräch zu bringen. Und genau das wollten wir auch mit der Zeitschrift unterstützen. In jedem Heft versuchen wir bis heute, ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen. Der psychotherapeutische und der theologische gehören immer dazu, es kommen aber auch sozialwissenschaftliche, neurobiologische und philosophische Aspekte ins Spiel. Und vieles darf nebeneinander stehen bleiben. Nicht alles muss abgeglichen und verschmolzen werden. Trotzdem setzt sich immer wieder das Mosaik zu einem Ganzen zusammen.
Sehr viel hat sich in den letzten 20 Jahren getan. Religiosität ist allgemein in der Psychotherapie als Ressource anerkannt, Spiritualität kommt auf Fachkongressen vor, die DGPPN2 hat sogar ein entsprechendes Fachreferat. Seelsorgende haben es in psychiatrischen Kliniken in der Regel auch erheblich leichter als damals. Und gleichzeitig gibt es wohl kaum eine „fromme“ Gemeinde mehr, auch nicht mehr im pfingstlich-charismatischen Bereich, wo nicht im Ernstfall die Möglichkeit in Erwägung gezogen würde, einem Menschen psychiatrisch-psychotherapeutische Hilfe zukommen zu lassen. Wir merken es in der Klinik an den Wegen, auf denen Menschen zu uns kommen.
Wie viel an dieser sehr erfreulichen Entwicklung durch die APS, im Verbund mit der Zeitschrift P&S angestoßen wurde, wird sicherlich nie geklärt werden können. Aber ich bin sicher, dass unsere Zeitschrift hier einen wirklich segensreichen Dienst geleistet hat. Ist die Aufgabe der APS, die Aufgabe von P&S, denn damit erfüllt? In gewisser Weise ja. Mit einem solch schönen und großen Erfolg hätten wir vor 20 Jahren nicht gerechnet.
Und gleichzeitig gibt es noch so viel zu tun! Schon gibt es eine neue Generation an Menschen in Seelsorge und Therapie, die noch dabei sind, ihren Weg zu finden, sich im großen Spektrum der Fachgebiete zu verorten, ihre Berufung zu finden. Und wie schlimm wäre es, wenn wir „Alten“ uns nicht mehr weiterentwickeln würden! Es ist so wertvoll, wenn Menschen nachdenken, ihr Fachgebiet durchdringen möchten, nach Wegen suchen, es für andere fruchtbar zu machen. Diese Arbeit im Weinberg hört nie auf! Es wird noch viele Jahreszeiten geben, eine nach der anderen. Aber guter Wein entsteht nur dann, wenn wir jede Jahreszeit wieder von neuem nutzen, ihr gerecht werden, das tun, was der Tag verlangt.
Und solche guten Arbeiter im Weinberg möchten wir auch in Zukunft sein. In unserer Alltagsarbeit, in der fachlich-philosophischen Durchdringung unseres Berufsfeldes und letztlich immer für unseren großen Auftraggeber.
Dr. med. Martin Grabe, geboren 1959, ist Ärztlicher Direktor der Klinik Hohe Mark, Oberursel und Frankfurt und Mitherausgeber von P&S.
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