Dieser Artikel stammt aus P&S (Ausgabe 2025_4) – dem Magazin für Psychotherapie und Seelsorge. Viermal im Jahr widmet sich P&S einem neuen Themenschwerpunkt.
„Echter Trost ist ein interaktionelles Geschehen“
Welche Rolle spielt Trost in der Psychotherapie? Prof. Dr. Sonja Friedrich-Killinger schreibt darüber in P&S 4-25 (erscheint Ende Oktober). Wie Trost und Klage in der Therapie Raum finden können, erzählt sie hier.
Es geht in der Psychotherapie darum, lange eingeübte Muster und Schemata zu durchbrechen. Kann Trost hier auch kontraproduktiv sein, weil er Menschen keine Mittel zur Veränderung an die Hand gibt, sondern eventuell den Status Quo zementiert?
Trost darf nicht als bloßes Beruhigen oder Vertrösten verstanden werden. Vertröstung würde tatsächlich den Status quo zementieren, indem sie Schmerz abwehrt, statt ihn zu verarbeiten. Echter Trost hingegen ist ein interaktionelles Geschehen, das Affektregulierung, Beruhigung und Reorientierung ermöglicht und somit heilungsfördernd wirkt. Trost bedeutet demnach nicht, Veränderung zu verhindern, sondern stellt eine Voraussetzung für Veränderung dar. Durch die Wiederherstellung von Sicherheit und Festigkeit kann emotionale und kognitive Verarbeitung überhaupt erst stattfinden.
Sie schreiben in Ihrem Artikel, dass Menschen in der Psychotherapie Trost erwarten. Ist das bei allen so? Und wie bringen die Menschen das zum Ausdruck?
Nicht alle, aber viele Patienten sehnen sich nach Trost – insbesondere in leidvollen Situationen. Sie bringen dies oft über Klagen, Verzweiflung oder den Wunsch nach Verständnis und Nähe zum Ausdruck. Zu Beginn des therapeutischen Prozesses äußern sie häufig Klagesätze wie: „Wieso scheitere immer ich in Beziehungen?“; „Wieso muss ich solchen Schmerz erleiden?“ Diese Klagen sind Ausdruck eines Trost- und Bindungsbedürfnisses. Diese Äußerungen verlangen nach einem „Resonanzboden für den Schmerz“ und spiegeln die Sehnsucht nach einer tröstenden Präsenz eines verstehenden Gegenübers.
Wie reagieren Sie darauf, wenn Sie mit großem Leid konfrontiert werden und Ihnen beispielsweise ein Patient erzählt, dass er absolut verzweifelt ist, weil sein Kind im Sterben liegt? Kann es hier tröstliche Worte geben?
In Extremsituationen wie dieser besteht tröstliches Handeln nicht in Worten, sondern in empathischer Präsenz, Mitgefühl und dem Aushalten des Leids. Hier würde ich einen „Klageraum“ bereitstellen, in dem der Schmerz ernst genommen und geteilt werden darf.
Wie hängen Klage und Trost zusammen?
Am Anfang des therapeutischen Prozesses steht der wichtige Schritt, das eigene Leid zu klagen und sich nach Trost zu sehnen. Im Klagen wird Schmerz ausgedrückt und an ein Gegenüber adressiert – sei es ein Mitmensch oder Gott. Der Trost antwortet auf diese Klage, indem er Raum dafür schafft, den Schmerz zu halten, zu ordnen und allmählich zu überwinden. Klage öffnet den Raum, in dem Trost überhaupt wirken kann. Klage und Trost sind zwei Phasen eines interaktionellen Prozesses. Klage artikuliert Leid und Bedürftigkeit, Trost bietet Resonanz, Halt und ermöglicht emotionale Verarbeitung und Neubewertung.
Bei der integrativen Psychotherapie spielt Trost eine Rolle und für die Trostarbeit ist Empathie entscheidend. Dass sie zu Empathie fähig sind, ist wohl für alle Psychotherapeuten und -therapeutinnen wichtig. Was ist hier das Besondere an der integrativen Psychotherapie?
Die integrative Psychotherapie zeichnet sich dadurch aus, dass sie Trost als legitimen, ja notwendigen Bestandteil therapeutischer Arbeit versteht – und Empathie dabei nicht nur emotional, sondern auch kognitiv und körperlich fundiert begreift.
Sie gehen in Ihrem Artikel auch auf den Wert von körperlichen Berührungen ein. Ich stelle es mir schwierig vor, körperliche Berührungen auf organische Weise in die Psychotherapie zu integrieren. Umarmen Sie Ihre Patienten manchmal? Oder halten Sie die Hand?
Tröstende Berührungen haben eine nachweislich regulierende und beruhigende Wirkung. In der Psychotherapie ist ihr Einsatz jedoch nur dann sinnvoll und vertretbar, wenn er im Kontext einer sicheren, respektvollen therapeutischen Beziehung geschieht – und nicht als technisches Mittel, sondern als authentischer Ausdruck empathischer Präsenz verstanden wird.
Ich erinnere mich an eine junge Patientin mit einer schwierigen Mutterbeziehung. Nachdem die Patientin es geschafft hatte, sich in einem sehr intensiven Rollenspiel in der sozialen Kompetenztrainingsgruppe von dieser dominanten und verletzenden Mutter abzugrenzen und ihre Meinung zu vertreten, war das ein so gewaltiger Moment des Durchbruchs, dass alle im Raum spürten: Hier war etwas Besonderes und Großes geschehen. Ich hatte diese Übung angeleitet – nicht in der Rolle der dominanten Mutter, sondern als hilfreiche Souffleuse und Unterstützerin gegen diese dominante Mutter. Spontan fiel die Patientin mir in die Arme. In diesem Moment waren Trost und Erleichterung greifbar zu spüren. Tröstliche Erfahrung: Es geht auch anders. Trost durch Gehaltenwerden. Trost – in der Überwindung des scheinbar Unüberwindbaren, mitgetragen durch den festen menschlichen und zugleich durch Worte begleiteten Beistand in dieser Situation.
Einen wichtigen Halt können Menschen in ihrer Beziehung zu Gott erfahren. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht, tröstliche Bibelworte in der Psychotherapie einzubringen? Wie kann das auf sensible Weise geschehen?
In der psychotherapeutischen Arbeit kann diese Dimension dann bedeutsam werden, wenn der Patient selbst eine religiöse Bindung lebt oder in spirituellen Kategorien denkt. Ich erinnere mich an eine Patientin, die nach dem Tod ihres Mannes in tiefer Verzweiflung zu mir kam. Sie sagte: „Ich bete, aber ich spüre nichts mehr – es ist, als ob Gott schweigt.“ Im Verlauf der Gespräche erinnerte sie sich an den Bibelvers: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ (Jes 66,13). Wir nahmen dieses Bild gemeinsam auf – nicht als religiöse Belehrung, sondern als innere Erfahrung des Gehaltenseins. In diesem Moment konnte sie spüren, dass sie nicht völlig allein ist. Dieses Wort wurde für sie zu einem inneren Haltpunkt, zu einer Ressource, auf die sie in schweren Stunden zurückgreifen konnte. Diese Klagen ernst zu nehmen, sie sensibel zu begleiten und im Verlauf die Ressource eines Bibelwortes zu entdecken, kann eine erstaunlich kraftvolle, tröstende Wirkung entfalten.
Es wird im November zum Thema auch eine Tagung mit Ihnen geben.
Ja, ich möchte alle Interessierten, die dieses spannende Themenfeld zwischen Trost und Klage weiter vertiefen und aus verschiedenen Fachdisziplinen beleuchten und auch in praktischen Workshops ausprobieren wollen, herzlich zu unserer empirischen Fachtagung „Trost und Klage“ an der Vinzenz Pallotti University in Vallendar am 7.11.–8.11.2025 einladen. (Eine online Teilnahme ist ebenfalls möglich.) Weitere Infos unter: www.aef-gps.de
Die Fragen stellte P&S-Redakteur Christof Klenk.
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